EuGH-Urteil: Ein Weckruf zum Umdenken im Artenschutzrecht!

Eine weitere juristische Analyse

„Da der Gerichtshof zugleich darauf verweist, dass die Durchführung des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL gerade nicht davon abhängt, dass eine Maßnahme das Risiko einer negativen Auswirkung auf den Erhaltungszustand der betroffenen Tierart hat, ist zugleich der Bundesgesetzgeber aufgerufen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das nationale Artenschutzrecht in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu bringen.

Für Privilegien, wie sie § 44 Abs. 4 BNatSchG der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung gewährt, bleibt kein Raum, wenn die artenschutzrechtlichen Verbote nicht von den Auswirkungen einer Maßnahme auf Ebene der (lokalen) Population abhängig gemacht werden dürfen.

Das Urteil im Verfahren „Skydda Skogen“ (Schütze den Wald) ist ein Weckruf für all jene, die trotz des nach wie vor ungebremsten Artensterbens und der fortschreitenden Biodiversitätsverluste noch immer glauben, die Verbote des europäischen Artenschutzrechts relativieren zu müssen.Solchen Versuchen tritt der Gerichtshof nachdrücklich entgegen und wird seiner Verantwortung für die Durchsetzung des Rechts zum Schutz des gemeinsamen Naturerbes der Mitgliedstaaten in vorbildlicher Weise gerecht.“

Quelle
https://www.m-gellermann.de/Aktuelles/

Auch Prof. Dr. Martin Gellermann, Staats-, Umwelt- und Europarechtler hat das EuGH-Urteil (Rs. C-473/19 u. 474/19, Föreningen Skydda Skogen) aus fachlicher Sicht analysiert und die wichtigsten Schlußfolgerungen für Natur- und Artenschützer und die interessierte Allgemeinheit aufbereitet und auf seiner Internetseite zur Verfügung gestellt – vielen Dank dafür:

EuGH: Weckruf im Artenschutzrecht – das Verfahren „Schütze den Wald“

04.03.2021

In seinem auf Vorlage eines schwedischen Gerichts ergangenen Urteil vom 04.03.2021 (Rs. C-473/19 u. 474/19, Föreningen Skydda Skogen) beantwortet der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verschiedene Fragen zur Auslegung der richtliniengestützten Verbote des Art. 5 der Richtlinie 2009/147/EG (Vogelschutz-Richtlinie – V-RL) und des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie – FFH-RL) in einer Weise, die in den Bereichen der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung und bei der Zulassung von Eingriffsvorhaben zum Umdenken veranlassen müssen.

Vor dem Hintergrund des schon in den Begründungserwägungen der im Jahre 1979 erlassenen Vogelschutz-Richtlinie thematisierten und bis heute noch immer nicht gestoppten Rückgangs der Bestände europäischer Vogelarten stellt der EuGH zunächst klar, dass die Verbote des Art. 5 V-RL unabhängig davon anzuwenden sind, ob die betroffenen Vogelarten in Anhang I V-RL gelistet, auf irgendeiner Ebene bedroht oder ihre Populationen auf lange Sicht rückläufig sind.
Den auch hierzulande immer wieder zu beobachtenden Versuchen, das Anwendungsfeld der zur Umsetzung des EU-Artenschutzrechts bestimmten Zugriffsverbote (§ 44 Abs. 1, 5 BNatSchG) unter Hinweis auf Aspekte der mangelnden Gefährdung oder einer fehlenden populationsbiologischen Sensibilität zu relativieren (z.B. HMUKLV/ HMWEVW 2020 unter Hinweis auf Bernotat & Dierschke 2016), ist damit eine klare Absage erteilt.
Da das schwedische Recht – nicht anders als § 44 Abs. 1 BNatSchG – die Regelungsvorgaben des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL auf Vögel der europäischen Arten erstreckt, bezieht der Gerichtshof die ihm unterbreiteten Vorlagefragen auf diese Bestimmung und weicht damit in bemerkenswerter Weise von den im Schrifttum mit Kritik bedachten Schlussanträgen seiner Generalanwältin ab (hierzu Gellermann/Schumacher, NuR 2020, 841 ff.).

Die Luxemburger Richter bestätigen das in ihrer bisherigen Judikatur entwickelte Verständnis des Absichtsbegriffs und folgern, dass forstwirtschaftliche Maßnahmen die Verbote des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL durchaus verwirklichen können, obwohl die Tötung, Störung oder Schädigung geschützter Lebensstätten nicht bezweckt wird.
Mit bemerkenswerter Deutlichkeit wird der Individuenbezug auch in Ansehung des Störungsverbots (Art. 12 Abs. 1 Buchst. b FFH-RL) betont, der es nach den Erkenntnissen des Gerichtshofs mit sich bringt, dass Maßnahmen mit diesem Verbot selbst dann in Konflikt geraten können, wenn sich mit ihnen das Risiko negativer Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der betroffenen Art verbindet.
Angesichts dessen wird das Bundesverwaltungsgericht die von ihm aufgestellte These von der Unionsrechtskonformität des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG (BVerwG, NuR 2008, 633 Rn. 237; a.A. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht II, 91. El. 2019, § 44 BNatSchG Rn. 14 mw.w.N.) überdenken müssen.

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https://www.m-gellermann.de/Aktuelles/