EuGH-Urteil: Vogelschutz mit Tötungsverbot für alle Vogelarten

Dieses wichtige bindende EuGH-Urteil unterstützt alle Vogelschützer und ihre juristischen Vertreter und sichert, nicht nur im Land des Windkraftwahnsinns, hoffentlich vielen Tieren sämtlicher Arten das Überleben!
JR

Die Naturschutzinitiative in ihrer Eilmeldung – mit Dank!

EuGH stärkt den Vogelschutz

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stärkte mit Urteil vom 04.03.2021 den Vogelschutz. Er blieb bei seiner bisherigen Rechtsprechung und folgte nicht dem Antrag der Generalanwältin.Diese hatte vorgeschlagen, den Schutz des einzelnen Vogels nicht mehr in den Fokus zu nehmen, sondern danach zu entscheiden, ob die Population der Vogelart insgesamt gefährdet sei.Die NI begrüßt das Urteil des EuGH (C-473/19 und C-474/19), denn es folgt der bisherigen Rechtsprechung und vermeidet die Entstehung von neuer Rechtsunsicherheit bezüglich der Gültigkeit des EU-Artenschutzrechts bei Vögeln. Diese wäre entstanden, wenn das Gericht dem Schlussantrag der Generalanwältin des EuGH gefolgt wäre.
Im Kern ging es um die Frage, ob der strenge Artenschutz (u.a. das Tötungsverbot) für alle europäischen Vogelarten gilt oder nur für solche, die im Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie stehen oder in einem schlechten Erhaltungszustand oder gefährdet sind. Dies klärt der EuGH eindeutig.

Die Entscheidung wird sicher positive Auswirkungen auf das Rechtsverfahren der NI vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel haben, in dem es genau um diese Frage geht. Schon das Verwaltungsgericht in Gießen hatte der NI in der ersten Instanz Recht gegeben und die Genehmigung für ein Windindustriegebiet aufgehoben, weil unzulässigerweise Ausnahmen vom Tötungsverbot erteilt worden waren.

Zitat aus dem Urteil des EUGH, Absatz 36:

„Daher geht aus dem Wortlaut von Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie klar und eindeutig hervor, dass die Anwendung der in dieser Bestimmung genannten Verbote keineswegs nur den Arten vorbehalten ist, die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführt sind oder auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist.“

Das Urteil in übersichtlicher Form –  mit Dank an die Naturschutzinitiative NI e.V.

Download: https://www.windwahn.com/wp-content/uploads/2021/03/ECJ-ruling_Mar2021_Swedish-forest-case.pdf

Hier die Hintergründe der Versuche, an höchster Stelle der EU-Gerichtsbarkeit den Vogelschutz zu Fall zu bringen:

September 2020
Manfred Knake vom Wattenrat.de berichtete im September 2020 zu den Anstrengungen der deutschen Generalanwältin der EU, Juliane Kokosch, das Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie für sog. Allerweltsarten aufzuweichen – mit Dank an den Wattenrat und die EGE Eulen !
Warum wohl ist es ausgerechnet eine deutsche Generalanwältin, die sich für ein solches Unterfangen gegen den Vogelschutz einsetzt?
JR

Deutsche Generalanwältin beim EuGH empfiehlt Aufweichung des Artenschutzes

Publiziert am 16. September 2020 von Redaktion

Zwei schwedische Naturschutzorganisationen („Naturskyddsföreningen“ und „Härryda Göteborgs Ornitologiska Förening“) klagten gegen den Verwaltungsrat des Landkreises Västra Götalands im Westen Schwedens wegen des Eingriffes in eine Waldlandschaft und die damit verbundene Vernichtung von Habitaten. Die Causa gelangte vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Bemerkenswert und bedenklich: Die Generalanwältin der EU, Juliane Kokott (Deutschland), schlägt dem Gerichtshof in ihrem Schlussantrag des Verfahrens vor, das bisher geltende Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie für „Allerweltsarten“ aufzuweichen (Rn. 75 ff., 113).

Bisher sind alle Vogelarten „besonders geschützt“, davon einige Arten nach der deutschen Bundesartenschutzverordnung „streng geschützt“.

Juni 2019: „Klage zweier gemeinnütziger Vereine gegen die Entscheidung der Provinzverwaltung, in Bezug auf eine Abholzungsanmeldungfürein Waldgebiet, das Lebensräume einer Reihe von Tierarten umfasst, die nach der Richtlinie 92/43/EWG und der Richtlinie 2009/147/EG geschützt sind, keine Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen“

Die Europäische Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen (EGE) hat die Sache im September kommentiert. Mit freundlicher Genehmigung der Eulenfreunde:

Bisher gilt das Tötungs- und Verletzungsverbot der EG-Vogelschutzrichtlinie allen europäischen Vogelarten. Es untersagt nicht nur das willentliche Töten und Verletzen, sondern auch das wissentliche Inkaufnehmen solcher Schädigungen. Deswegen können beispielsweise auch Vogelarten, die nicht bereits auf der Roten Liste stehen, in Zulassungsverfahren von Straßen, Windenergieanlagen und sonstigen Bauvorhaben mit einem Schutz zumindest vor einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko rechnen.

Doch nun schlägt die Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Juliane Kokott, in den Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 (pdf-Datei, ca. 348 KB) dem EuGH vor, das Tötungs- und Verletzungsverbot nach der Vogelschutzrichtlinie wie folgt auszulegen (Rn. 75 ff., 113):

„Wenn die Beeinträchtigung von Vögeln nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen wird, gelten die Verbote nach Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2009/147 allerdings nur, soweit dies notwendig ist, um diese Arten im Sinne von Art. 2 auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.“

Zur Begründung wird u. a. ausgeführt, dass eine identische Auslegung des Absichtsbegriffs in Art. 12 Abs. 1 der FFH-Richtlinie und Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie nicht sinnvoll sei, da dies im Vogelschutz deutlich weiterreichende Auswirkungen hätte. Während das strenge Schutzsystem im Artenschutz der FFH-Richtlinie auf wenige, in der Regel sehr seltene Arten beschränkt sei und Konflikte mit ihnen nicht sehr häufig seien, gelten die Verbote des Art. 5 der EG-Vogelschutzrichtlinie auch für Allerweltsarten, deren Beeinträchtigungen von modernen Gesellschaften bei verschiedensten menschlichen Aktivitäten, etwa der Errichtung von Gebäuden oder im Straßenverkehr in Kauf genommen werde. Die Erhaltung von Allerweltsarten erfordere in der Regel keine Verbote, die schon eingreifen, wenn eine Beeinträchtigung lediglich in Kauf genommen wird. Allerweltsarten seien deshalb so häufig, weil menschliche Aktivitäten ihren Bestand nicht gefährden würden.
Anmerkung der EGE: Was in aller Welt sind Allerweltsarten? Arten, die wie der Mäusebussard, die Schleiereule oder die Waldohreule noch nicht oder Arten wie der Uhu, die nicht mehr auf der Roten Liste stehen? Kann dann deren nicht bezweckter Tod auf Straßen oder an Windenergieanlagen in Kauf genommen werden? Der Schlussantrag der Generalanwältin dürfte die Bestrebungen befördern, den individuenbezogenen Schutz der Vögel zugunsten eines auf die Population bezogenen Schutzes abzusenken. Will heißen: Solange die Population einer Art nicht gefährdet ist, sind Verluste an neuen Straßen, Stromleitungen, Windenergieanlagen usw. hinzunehmen. Eine solche Vorgehensweise strebt das Bundeswirtschaftsministerium zugunsten von Energiewendevorhaben an. Auch Umweltverbände haben sich in der Vergangenheit in dieser Weise positioniert. Ist dies vielleicht ein Teil des „European Green Deal“?

https://www.wattenrat.de/2020/09/16/deutsche-generalanwaeltin-beim-eugh-empfiehlt-aufweichung-des-artenschutzes/

Gut zu wissen! 

Aber nun ist eine „wünschenswerte Klärung“ bereits in einem anderen, ähnlich gelagerten Fall erfolgt und die deutsche Generalanwältin wurde zurückgepfiffen.

Mai 2020
Bedeutung für die Praxis – Zitat aus der Einordnung durch die Kanzlei BBG und Partner in Bremen
„Die Vereinbarkeit dieses konkreten Ausnahmetatbestands des BNatSchG mit Unionsrecht ist bereits seit Längerem Gegenstand der Diskussion und führt in Rechtsprechung und Literatur zu unterschiedlichen Einschätzungen. So hat das OVG Berlin-Brandenburg die Auffassung des VG Gießen bereits kritisiert (Beschl. v. 20.02.2020 – OVG 11 S 8/20, Rn. 39). Für eine endgültige und wünschenswerte Klärung wären entweder eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs oder eine Klarstellung in der VRL erforderlich. Beides ist derzeit noch nicht absehbar. Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, sind Anlagen- betreiber gut beraten, eine Ausnahme vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot – sofern möglich – auf Grundlage eines anderen Ausnahmegrundes anzustreben.

https://www.bbgundpartner.de/fileadmin/Media/News_2020/Update_Umweltrecht_2020/4_Praxishinweis_BBG_zu_VG_Gießen_1_K_6019.18_v._22.1.2020.pdf


Wir erinnern uns:
Erfolgreiches NI-Urteil
Januar 2020 Urteil
September 2020 Pressemitteilung

Versuch von Priska Hinz und Tarek Al Wazir, grüne Umwelt- und Wirtschaftsminister in Hessen den Vogelschutz zu eliminieren, scheitert an der erfolgreichen Klage der NI:
Mit Dank an den Wattenrat
https://www.wattenrat.de/2020/02/16/windenergie-naturschutzinitiative-klagt-erfolgreich-ausnahme-vom-artenschutzrechtlichen-toetungsverbot-rechtswidrig/

Weitere wichtige Rechtsprechung des EuGH zum Artenschutz (Umweltrecht) aus 2020

ARTENSCHUTZ AUCH FÜR UNBEWOHNTE RUHESTÄTTEN STRENG GESCHÜTZTER TIERARTEN

EuGH, Urteil vom 02.07.2020, Rs. C-477/19
Unbewohnt, aber nicht ungeschützt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Ruhestätten von streng geschützten Tierarten nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG
(FFH-RL) auch dann nicht beschädigt oder vernichtet werden dürfen, wenn diese nicht mehr aktiv von den Tierarten bewohnt werden.

Bedeutung für die Praxis
Nicht nur die Rechte des bereits seit Jahren in planerischen Fachkreisen bekannten und vom Aussterben bedrohten Feldhamsters wurden mit dieser Entscheidung des EuGH gestärkt, sondern auch diejenigen aller weiteren nach der FFH-RL streng geschützten Tierarten. Allein die Nichtnutzung der Ruhestätte legitimiert noch nicht ihre Beschädigung oder gar Zerstörung. Besteht die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Tiere in die Ruhestätten auch zurückkehren, kann eine Vorhabengenehmigung versagt werden. Zwingend ist dies aber nicht. Möglich bleiben vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen zur Umsiedlung der Tiere in ein geeignetes Ersatzhabitat. Diese müssen jedoch rechtzeitig vor dem Eingriff erfolgen.

https://www.bbgundpartner.de/fileadmin/Media/News_2020/Update_Umweltrecht_2020/01_Praxishinweis_BBG_zu_EuGH_C-477.19_v._02.07.2020_SL.pdf

Diese Ausgleichsmaßnahmen, Umsiedlungen in Ersatzhabitate mögen für einige Arten von Bodenlebewesen , evtl. auch für einige migrierende Rasttiere der Avifauna praktikabel sein.
Der Avifauna, Vögeln, Fledermäusen, Insekten ein neues Brut und Nahrungshabitat zuzuweisen, noch dazu in sicherer Umgebung und für die ziehenden Arten mit risikoarmen Migrationswegen dürfte weitgehend utopisch sein.

STRATEGISCHE UMWELTPRÜFUNG FÜR BEHÖRDLICHE LEITFÄDEN UND ERLASSE

EuGH Urteil vom 25.06.2020, Rs. C-24/19
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst sich in diesem Urteil mit der Frage, ob auch politische Maßnahmen und allgemeine Regelungen „Pläne und Programme“ sein können, für die eine Strategische Umweltprüfung (SUP) notwendig ist […]

Bedeutung für die Praxis
Mit der Entscheidung weitet der EuGH die Klagerechte gegen Pläne und Programme aus. Insbesondere die Klagemöglichkeiten von Umweltverbänden werden dadurch gestärkt. Viele Rechtsakte mit einer eher politischen Zielsetzung, aber auch behördliche Handlungs- empfehlungen und Leitfäden, könnten nach dieser Rechtsprechung nun auch unter dem Aspekt der strategischen Umweltprüfung angreifbar sein, soweit sie einen hinreichend signifikanten Rahmen für Projekte mit Umweltauswirkungen darstellen.

https://www.bbgundpartner.de/fileadmin/Media/News_2020/Update_Umweltrecht_2020/02_Praxishinweis_BBG_zu_EuGH_C-24_19_v._25.06.2020.pdf