Prolog
Gülle, der gelbe Planet. Aus der Ferne betrachtet sieht er aus wie Io, der Jupitermond. Groß, rund, gelb.
Nun, aus der Ferne. Befindet man sich jedoch auf Gülle, merkt man sofort, daß Gülle anders ist als alle anderen Planten. Auf Gülle gibt es – Gülle. Jedenfalls fast überall. Es hat den Anschein, als läge das Lebensziel der Güllianer darin, Gülle auf ihre Felder zu bringen. Dies hat zur Folge, daß der Planet von einem feinen aber dichten Nebel aus feinsten Gülletröpfchen überzogen ist.
Für Güllianer ist das Güllen gottgegeben und wird von jeher praktiziert. Es gibt zwar Legenden, wonach es vor unzähligen Generationen einen erbitterten Streit zwischen den Bewohnern des Planeten gab, aber die Güllianer kennen sich und wissen, daß eine sich heute ereignete kleine Begebenheit spätestens morgen eine ganz große Geschichte ist.
Und dennoch gab es diesen Streit unter den Bewohnern des Planeten. Sie hießen damals noch nicht Güllianer und ihr Planet nicht Gülle. Es war ein wunderschöner Planet, wie es viele gibt im Universum, mit Meeren, Bergen, Wäldern, Auen, Dörfern und Flüssen. Die Bewohner gingen den verschiedensten Tätigkeiten nach und ein jeder hatte Zeit und Muße dem anderen zu helfen. Eine kleine Gruppe jedoch war der Auffassung, daß nicht sie den anderen helfen sollten, sondern daß sie die einzigen waren, denen geholfen werden mußte. Es waren Landbewohner, die den Unterschied zwischen Hilfe und Entschädigung nicht kannten, oder, wenn sie es taten, nicht kennen wollten. Die Landbewohner forderten für alles, was ihnen nicht gelang, eine Entschädigung. Wenn die Ernte schlecht ausfiel, forderten sie eine Entschädigung und bekamen diese. Fiel die Ernte zu üppig aus und die Preise sanken, forderten die Bauern eine Entschädigung und bekamen sie. War es zu naß, zu trocken, zu kalt, zu heiß – nur der Ruf nach Entschädigung genügte und sie wurden entschädigt. Besonders in den Zeiten, wenn über die Regentschaft abgestimmt werden sollte, wurden die Rufe der Landbewohner lauter und sie trafen auf offene Ohren. Je großzügiger und üppiger die Versprechen über Entschädigungen ausfielen, desto sicherer konnte der Regentschaftsanwärter sein, in den Bauern glühende Verehrer gefunden zu haben.
Anfänglich war für die anderen Bewohner des Planeten diese unheilige Allianz aus Politik und Bauernschaft nur ein Ärgernis. Besonders verdrießlich für die Nichtbauern war zu hören, die Regierung könne ihre Politik nicht durchsetzen, da sich die Bauernverbände nicht einig seien und so glaubten sie, ihren Regenten durch Stimmverweigerung bei der Wahl einen Denkzettel verpassen zu können. In diesem Punkt hatten sie die Politiker aber überschätzt. Politiker wurden schließlich fürs Regieren bezahlt und nicht um zu denken. Im Laufe der Jahre wuchs der Unmut in der Bevölkerung und es kam immer wieder zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Nichtbauern. Als die Landwirte dann auch nach Entschädigung riefen, da sie durch die Auseinandersetzungen weniger Ernte einbringen konnte und die Regenten ihnen diese auch versprachen – es war wieder kurz vor der Wahl – kam es zur Katastrophe.
Kurz vor der letzten freien Wahl ging die nichtbäuerliche Bevölkerung auf die Straße und rief ‚Wir sind das Volk!’. Eine Gruppe Bauern, nach einem erfolgreichen Marktag und einem ebenso erfolgreichen Besuch in der nächsten Schankwirtschaft, kam lautgrölend über die Straße gelaufen. Die Sinne von Bier und Korn benebelt, verstanden sie nicht ‚Wir sind das Volk’, sondern ‚Wir sind schon voll’. In dem Glauben, Gleichgesinnte gefunden zu haben und den Scheißstädtern mal zeigen zu können, was eine richtige Bauerndemonstration ist, schlossen sie sich dem Zug an und grölten, oder besser lallten „Wiäsinnschoonvollll!“ Immer mehr Bauern schlossen sich nach dem ausgiebigen Saufgelage in den umliegenden Schankwirtschaften den Demonstranten an.
Einer der Bauern war Gallo Grünlich. Eigentlich hieß Gallo Grünlich nicht so, sondern Ignazius Detlef Friesenkötter. Wegen seiner ungesunden grünlichen Gesichtsfarbe nannten ihn aber alle Gallo Grünlich.
Gallo Grünlich war eine stattliche Erscheinung. Unvoreingenommene Betrachter hätten gesagt, einem solchen Mann stellt sich nichts in den Weg – noch nicht einmal Intelligenz. Einzig eine kleine Delle im Brustkorb ließ erkennen, daß ihm seine Eltern, wie bei der bäuerlichen Bevölkerung üblich, im zarten Alter von etwa 3 Monaten einen Stein auf die Brust legten. Dies wurde immer so gemacht, damit die Kinder schon frühzeitig das Stöhnen lernten. Gallos Stein war offensichtlich von besonderer Güte und Größe. Kein anderer Bauer konnte so ausdauernd und trotzdem fordernd über die verantwortungslose Agrarpolitik stöhnen wie Gallo Grünlich. Er war es auch, der den ersten und letzten Bauernkrieg auslöste, als ihm, in Vorfreude auf die nächste Wahl, plötzlich ein neuer Schlachtruf einfiel.
„Subvention oder Tod!“ posaunte er hinaus und die Bauern um ihn herum stimmten sofort ein in den neuen Schlachtruf. Ein Bauer konnte noch so betrunken sein, Subvention verstand er immer.
Die Demonstranten in ihrer Nähe tuschelten erst, dann wurden die Stimmen lauter und schließlich kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Bauern zeigen durften, daß sie nicht nur auf dem Markt andere übers Ohr hauen konnten.
Viele Jahre und noch mehr auf Scheißstädter entleerte Gülleanhänger später wurde Gallo Grünlich zum ersten Güllenden Kaiser ausgerufen.
Die Güllianer besiedelten alle Regionen des Planeten bis auf eine kleine Enklave in der Region Imbien. Die Reste der nichtbäuerlichen Bevölkerung hatten sich dorthin zurückgezogen und die Stadt Schei gegründet. Sie machten sich den Umstand zu nutze, daß imbische Schnaufenten beim Atmen die Luft filterten und so dafür sorgten, daß die Stadt Schei ein Ort des Wohlgeruchs blieb. So sehr die Güllianer es auch versuchten, die Schnaufenten hielten den Güllenebel von der Stadt fern.
Offiziell hießen die Bewohner der Stadt Scheilos. Die Güllianer nannten sie aber nur Scheistädter und im Laufe der Zeit wurde daraus Scheißstädter. Eine Bezeichnung, die dem Wesen der Güllianer erheblich näher war als das Wort Scheilos.